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Allgemein:
"Ob unser Kleidungsstück (Leibrock) mit Ärmeln versehen war, ist schwer zu entscheiden. Falls es welche gegeben hat - was mit Rücksicht auf das nordische Klima wohl anzunehmen ist - dann scheinen sie derart eng gewesen zu sein, dass sie ebenso wenig wie das eventuelle Beinkleid das Profil des Männerbildes zu verändern mochten. Gewisse Bilder können gleichwohl zu der Vermutung Anlass geben, das man auch Leibröcke mit sehr weiten Ärmeln gekannt hat - man betrachte beispielsweise die Zweikämpfer auf När Smiss I (Fig. 142). Stehen sie en garde mit den linken Händen erhoben, ungefähr wie moderne Fechter (in diesem Fall mit den Schilden in Riemen über den Schultern hängend)? Verf. will die Möglichkeit, dass wir es hier mit weitärmligen Kleidungsstücken zu tun haben, nicht bestreiten. Doch scheint es wahrscheinlich zu sein, das die Zipfel, die man oft von einem vorgestreckten Unterarm eines der stolzen Krieger des herniederfallen sieht, nicht Ärmeln zu gehören, sondern Mantelzipfel sind." (1a)Gotlands Bildsteine zählen zu den wenigen Darstellungen von Menschen zur Vendel- und Wikingerzeit.
Die Auslegung erfolgt seit jeher kontrovers, nicht nur bei der Bedeutung der Bildsteine, sondern auch speziell bei den Gewandungen der Männern gibt es immer wieder eine Auslegungsfrage:
Was stellen die zipfeligen Ausbuchtungen an den Armen dar? Zipfel von Umhängen, Schilde oder Ärmel mit zipfeligen Enden?
Abbildung: Bildstein von Smiss - Zwei Krieger, ein Schiff und Gewandung mit weiten Ärmeln Quelle:Statens Historiska Museet
Die Bildsteine Gotlands zeigen fast ausschließlich Figuren deren Körper, Kleidung, Waffen, Schild oder anderes nicht durch Linien von einander getrennt sind. Bei dieser Darstellungsmethode werden somit nur Konturen gezeigt. Für Kleidung bedeutet dies, das enge Hosen oder Ärmel sich nicht von der Kontur abheben, hingegen verändern weite Hosen und Ärmel die Konturen.
Sune Lindquist schrieb in den späten 1940er Jahren in gezielten Worten über die Eigenschaften, den Wohlstand und die prachtvolle Kleidung der dargestellten Krieger seiner schwedischen Vorfahren:
"(es) ist schon hervorgehoben worden, das diese Zipfel, formel gesehen, weite Ärmel ausmachen könnten. Aber ich zweifle nicht daran, dass sie grösstenteils vorteilhafter als Zipfel von schleierdünnen Mänteln gedeutet werden können oder wohl besser - müssen, die von den vermögenden Guten der Vorzeit in derselben koketten Weise getragen wurden wie von den fränkischen Hofleuten der Merowinger- und Karolingerzeit. Man scheint sich keineswegs geniert zu haben, sich derart zu drapieren, das nicht einmal die rechte Hand erhoben werden konnte, ohne das ein Zipfel des Mantels mitfolgen konnte." (1b)
Auf dem Bildstein von Närr Smiss I sind Waffen, Schilde und weite Hosen einwandfrei zu erkennen.
Die Zipfel an den Armen auf diesem und anderen Bildsteinen werden von Lindquist als dünne, funktionslose und lediglich zierende Mäntel gedeutet. Nach seiner Auffassung war dies zur Zeit der Merowinger- und Karolinger bei den Vermögenden so üblich.
Als vergleichende Bildquelle nehme ich den Stuttgarter Psalter (hier online).
Der Psalter datiert auf das erste viertel des 9. Jhr., somit in die mittlere Zeit der Herrschaft der Karolinger. Auf keiner Abbildung lässt sich ein Mantel erkennen, der geschickt über den Ärmel drapiert wurde - und dann als Zipfel herunter hängt.
Wenn ein Waffenträger auf den Darstellungen im Psalter einen Arm durch einen bodenlangen Umhang bedeckt hat, so ist es der Arm ohne Waffe. Der Umhang wird dazu immer auf der Schulter oder vor der Brust durch eine Fibel verschlossen.
Ich habe probiert einen Umhang -egal welchen Zuschnitts- lose über den Arm zu legen, das er als Kontur einen Zipfel ergibt. Das funktionierte nur bedingt.
Ohne Fixierung fällt der Umhang nur sehr schnell herab, wenn man sich bewegt. Daher müsste der Überwurf fixiert werden - ähnlich bestimmter Filmhelden heute.
Eine andere Möglichkeit ist sich den Umhang um den Arm zu schlingen und dann die Enden herab hängen zu lassen. Mit der Beibehaltung dieser Erscheinung ist man mehr beschäftigt, als das man dabei noch Schwert und Schild halten oder gar führen kann. Der Umhang verliert dabei Nutzen und „Ziereffekt“.
Weder eigene praktische Versuche noch zeitgenössische Bildquellen können die Aussage über „Umhangzipfel“ von Lindquist bestätigen. Die Möglichkeit das es sich bei den Ärmeln mit Zipfeln um drapierte Umhänge handelt muss ausgeschlossen werden.
fasst in „Die Wikingerzeitgotlands“ die Deutungsvarianten zusammen: „ein weiter herabfallender Ärmel oder ein Zipfel des Überwurfs, der über den Arm geschlagen wurde, oder vielleicht ein von der Seite gesehener Schild.“ (3)
Sie vergleicht dann den Bildstein von Sanda SHM 13127 mit den Darstellungen auf den Bildsteinen mit Zipfeln an den Ärmeln und schließt logisch aus, das die auf die dargestellten Zipfel auf den zahlreichen Bildsteinen Mäntel sein können, da ein Mantel in einer Konturzeichnung anders aussieht: (4).
Abbildung: Bildstein von Sanda - Quelle:Statens Historiska Museet
die mittlere Person auf dem gezeigten Bildstein trägt eine Art Überwurf, der vor und hinter der Figur bis zu den Knien reicht. Von den Knien bis zum herausragenden Arm ist er keilförmig geteilt. Es kann sich nur um einen seitlich geöffneten Umhang handeln. Umhänge sind auf diese Art auch im zeitgenössischen Stuttgarter Psalter dargestellt.
L. Thunmark-Nylen führt den Bildstein von Tängelgarda an, auf dem ingesamt 5 Männer mit erhobenen Händen mit je einem Trinkhorn in der Hand zu sehen sind. In der ruhigen, friedlichen gezeigten Situation ist es unwahrscheinlich, das diese Zipfel Schilder darstellen sollen.
Eine logische Erklärung, wie die Männer Schilde halten sollen, die dann jeweils auf Armhöhe enden, und wieso sie in dieser Weise dargestellt sind gibt es nicht.
Erschwerend kommt hinzu, das die Person unten links mit der zweiten Hand einen weiteren Gegenstand ergreift und so keinen Schild führen kann.
Abbildung: Bildstein Tängelgard,Ausschnitt - Quelle:Statens Historiska Museet
Und dies ist kein Einzelfall. Auch auf dem Bildstein von Lärbro Tängelgarde III (Abb. 86) in der obersten Reihe rechts ergreift eine ein Schwert haltende Person die Zügel eines Pferdes- mit einer zweiten Hand.
Abbildung: Bildstein von Tängelgarda Kyrka - Quelle:Statens Historiska Museet
Die Darstellungen von Schilden als Zipfel widerspricht der Darstellung von Schilden auf zahlreichen anderen Bildsteinen, auf denen die Schilde als runde Scheibe dargestellt sind. Würden die Zipfel auch Schilde darstellen, würden die Kämpfer auf dem Bildstein von Smiss oder auch „auf dem Schiff“ jeder zwei Schilde halten müssen.
Aus diesen Gründen ist L. Thunmark-Nylen der Auffassung, das die Zipfel keine Schilde sein können.
Egal ob ein Trinkhorn hält oder auch Schwert und Schild, Ärmel mit zipfeligen Enden in verschiedener Größe wirken in der Praxis getragen und dann als Kontur betrachtet genau wie die Darstellungen auf den Bildsteinen. Es gibt keine Abweichung. Die dargestellten Zipfel folgen dem Fall einer Gewandung, die eben Zipfel an den Ärmeln hat.
L. Thunmark-Nylen folgert das es sich bei den Zipfeln nicht um Schilde oder Umhangszipfel handeln kann.
Schilde sind aus praktischen und darstellungstechnischen Gründen ausgeschlossen. Sie sind immer als runde frontal zu sehende Scheiben dargestellt, nicht als Striche von der Seite gesehen.
Für Umhänge kann keine „kokette“ Trageweise nachgewiesen werden. Wenn ein Umhang getragen wird, wird dieser anders dargestellt und nicht als Zipfel an den Ärmeln. Dazu sieht die Kontur einer Person mit Umhang anders aus als die der dargestellten Figuren.
Nur Ärmel mit Zipfeln verändern die Kontur, wie auf den Bildsteinen dargestellt – es gibt somit keinen Grund, das die dargestellten Figuren diese nicht auch tatsächlich tragen (4).
1a) Sune Lindquist, Gotlandas Bildsteine I, Stockholm 1941 S. 77
1b) Sune Lindquist, Gotlandas Bildsteine I, Stockholm 1941 S. 80
2) Erik Nylen und Jan Peder Lamm schrieben in "Bildsteine auf Gotland", 1981Karl Wachholtz Verlag, Neumünster 1981, ISBN 3 529 01823 6, S. 90
3) Lena Thunmark-Nylen, Die Wikingerzeit Gotlands III:2, Text, ISBN 91-7402-355-1 S. 439
4) Lena Thunmark-Nylen, Die Wikingerzeit Gotlands III:2, Text, ISBN 91-7402-355-1 S. 438/439 i.V.m. 439/440